Veröffentlicht in der Liewo am 13.12.2020 von Melanie Steiger.
Die IG Elternzeit hat sich zum Ziel gesetzt, ein Modell für eine individuelle und bezahlte Elternzeit für Liechtenstein auszuarbeiten.
Was hat euch den Anstoss gegeben, die IG Elternzeit ins Leben zu rufen?
Sarah Nägele: Vor eineinhalb Jahren kam unsere Tochter auf die Welt und da wurde meinem Mann Lino Nägele bewusst, dass er als Vater kaum Zeit für uns hatte. Zum Glück war sein Arbeitgeber sehr flexibel, so dass er gleich nach der Geburt spontan
zwei Wochen Ferien nehmen konnte. Er wollte sich aber auch danach mehr einbringen und Zeit mit unserer Tochter verbringen. Lino ist dann auf Orlando Wanner und Stephan Agnolazza-Hoop zugegangen und sie haben beschlossen, sich für die Elternzeit zu engagieren.
Orlando Wanner: Wir setzten uns an vielen Abenden intensiv mit dem Thema auseinander und versuchten es von ganz vorne aufzurollen. Ein Jahr später war die Idee spruchreif. Wir unterhielten uns mit diversen Personen aus Kinder- und Elternorganisationen darüber – und tun das bis heute. Anschliessend gründeten wir die IG Elternzeit.
Sarah Nägele: Uns geht es um das Wohl der Kinder. Studien belegen die Wichtigkeit der elterlichen Betreuung des Kindes im ersten Lebensjahr. Das wirke sich positiv auf die Entwicklung und Gesundheit aus. Diesen Punkt versuchen wir stets, in die Diskussionen mit einzubeziehen. Denn die Kinder können nicht mitreden, sie haben bei der Diskussion keine Stimme.
Ihr setzt euch für eine gemeinsame Elternzeit ein.
Orlando Wanner: Das ist richtig. Den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub müssen wir ohnehin einführen. Unser Augenmerk liegt auf der gemeinsamen Elternzeit, in der beide Elternteile das Kind betreuen können. Das Ziel ist es, durch Eigenverantwortung und die Flexibilität der Eltern selbst zu entscheiden, wer zu Hause bleibt oder ob die Kinderbetreuung unter ihnen aufgeteilt wird.
Die traditionelle Familienstruktur wird also aufgebrochen?
Sarah Nägele: Es werden neue Strukturen abseits des traditionellen Modells möglich sein. Derzeit kann den bezahlten zwanzigwöchigen Elternurlaub nur die Frau beziehen, wovon acht Wochen Mutterschutz gesetzlich vorgeschrieben sind. Vier Monate gäbe es noch zusätzlich, dieser ist aber unbezahlt.
Orlando Wanner: Der wird gemäss unseren Erfahrungen selten genutzt. Für den Arbeitgeber wie auch den Arbeitnehmer ist es nicht interessant. Der Druck, die Familie finanziell abzusichern, ist auf beiden Seiten der Eltern vorhanden, da nun ein Kind da ist. Das geht gegen das Prinzip, ein paar Monate unbezahlten Urlaub zu beziehen.
Es gibt eine neue EU-Richtlinie für die Elternzeit, der sich Liechtenstein anpassen wird.
Orlando Wanner: Da Liechtenstein EWR-Mitglied ist, muss das Land die Richtlinie für einen bezahlten zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub übernehmen, die ab August 2022 gilt. Ausserdem ist darin die Einführung einer Elternzeit festgeschrieben. Wir kommen also um eine Einführung nicht herum. Das Ziel wäre ein für Liechtenstein angepasstes Modell, in dem die EU-Richtlinie umgesetzt wird. Die Ausgestaltung liegt im Detail. Es muss für den Arbeitgeber wie den Arbeitnehmerstimmen. geht nur miteinander.
Da gibt es bestimmt einiges zu berücksichtigen.
Sarah Nägele: Nur schon am ersten Workshop diskutierten wir mit unseren Vereinsmitgliedern drei Stunden lang, wie man die Elternzeit gestalten könnte. Wir sind noch nicht mal bei der Finanzierung angelangt. Denn die Richtlinie hält fest, dass die Elternzeit angemessen bezahlt werden muss. Was bedeutet das? Um solche Themen geht es. Die Formulierung lässt die Umsetzung teilweise offen. Wir haben nun zwei Modelle erarbeitet, welche alle Parameter und Vorschriften bezüglich der Dauer umfasst und den Eltern trotzdem die grösstmögliche Wahlfreiheit gibt.
Orlando Wanner: Am nächsten Dienstag befasst sich unser zweiter Workshop mit der Finanzierung. Wir versuchen, die Aspekte der Zusammenarbeit während der Elternzeit und wie die Flexibilität durch die EU-Richtlinie ausgearbeitet erden kann, zusammenzubringen. Mit unseren Vereinsmitgliedern versuchen wir, einen Vorschlag auszuarbeiten. Die EU-Richtlinie definiert klare Voraussetzungen für einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen und eine Gesamtzeit von vier Monaten für einen Elternteil. Zwei Monate davon müssen angemessen bezahlt werden.
Es gibt bereits einige Modelle für die Elternzeit.
Orlando Wanner: Wir wollen nicht einfach ein Modell übernehmen. Wir sind davon überzeugt, dass wir für Liechtenstein ein spezifiziertes Modell benötigen. Liechtenstein ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort, wir sind klein und flexibel, brauchen also das richtige Mass.
Wie weit fortgeschritten ist eure Lösungsfindung?
Orlando Wanner: Wir befinden uns mitten im Prozess. Wir haben uns auf zwei Modelle eingeschränkt. Wo wir am Ende landen, ist noch offen.
Sarah Nägele: Demnächst befassen wir uns mit der Finanzierung und wie die Elternzeit in den zwei verschiedenen Modellen vergütet wird. Wir werden die kommenden, ruhigeren Tage nutzen, um intensiv daran weiterzuarbeiten.
Welche Schritte stehen noch an?
Orlando Wanner: Sobald unser Modell steht, präsentieren wir es und stossen eine Diskussion an. Den Vorschlag würden wir dann noch verschiedenen Interessengemeinschaften zeigen und Gespräche führen. Es gibt Organisationen, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigen. Da sind wir froh um jeden Austausch.
Sarah Nägele: Die Präsentation ist auf den Januar geplant. Wir hoffen,
es geht sich coronabedingt aus. Gefühlt sind wir schon sehr weit gekommen, aber viele Fragen stehen noch offen – und der Verzicht auf physische Treffen macht alles etwas
umständlicher.
Orlando Wanner: Meist tauchen während des Prozesses viele Fragen auf und die Mitglieder geben weitere Inputs und bringen ihre Erfahrungen mit ein. Diese gilt es dann zu bündeln und in die Lösungsfindung einfliessen zu lassen.
Was ist die Aufgabe der Mitglieder?
Sarah Nägele: Sie bringen sich an den Workshops ein und bilden Arbeitsgruppen. Sie liefern Inputs und schaffen Diskussionsgrundlagen. Man kann eigene Ideen einbringen und mitarbeiten.
Wo habt ihr angefangen? Es gibt ja so viele Aspekte zu berücksichtigen.
Orlando Wanner: Mit viel Lektüre und dem Studieren von den Modellen im Ausland. Die Schweiz hat mit dem Vaterschaftsurlaub viele Überlegungen und Aspekte bereits auf – gegriffen. Rein vom wirtschaftlichen Zweig betrachtet, sind wir der Schweiz sehr ähnlich und konnten viel davon mitnehmen.
Sarah Nägele: Durch meinen Beruf als Naturfriseurin habe ich mit verschiedenen Familien und Personen aus unterschiedlichen Verhältnissen und Branchen zu tun. Ich sprach mit vielen über die Kinderbetreuung. Einige Frauen erzählten mir, dass ihr Mann gerne zu Hause bleiben würde. Es ist wirklich ein Thema, das viele beschäftigt, und das Bedürfnis nach einer Lösung ist meines Erachtens vorhanden.
Orlando Wanner: Bis zur Geburt eines Kindes sind in vielen Fällen beide Elternteile beruflich tätig. Aus unserer Sicht sollten die Rahmenbedingungen gegeben sein, frei zu wählen, wer nach der Geburt die Betreuung des Kindes übernimmt. Natürlich kann man nicht alles im Leben haben, aber dass jede Familie diese Wahlmöglichkeit hat, selbst zu entscheiden, sollte vorhanden sein. Deswegen ist es ein wichtiger Punkt.
Sarah Nägele: Die Elternzeit ist ja nur ein Mosaikstein beim ganzen Thema über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir machen nun mal einen ersten Schritt. Der Verein wird später vielleicht ein anderes Thema aufgreifen oder weiter ausbauen. Man muss es ganzheitlich betrachten. Es geht auch um die Kitaplätze, die finanzielle Absicherung der Frauen, die zu Hause bleiben, oder die Förderung von Teilzeitstellen.
Was für Rückmeldungen habt ihr bis jetzt erhalten?
Sarah Nägele: Hauptsächlich positive. Von gewissen Stellen gibt es Denkanstösse, einige machen auf verschiedene Aspekte aufmerksam oder sie suchen den Austausch.
Orlando Wanner: Vielen Menschen ist es ein wichtiges Anliegen. Der Teufel liegt im Detail. Das Grundthema ist da und reif. Die Frage ist noch immer das «Wie». Wir wissen, dass unser Modell nicht die perfekte Lösung für alle sein wird. So eine Lösung wird es auch nicht geben, das ist unmöglich. Wir wollen etwas, das Sinn macht und die nötigen Rahmenbedingungen für Familien schafft.
Über die IG Elternzeit
Am 20. Oktober 2020 fand die offizielle Gründungsveranstaltung der IG Elternzeit statt. Der Vorstand des Vereins besteht aus den Co-Präsidenten Lino Nägele und Stephan Agnolazza-Hoop sowie den Vorstandsmitgliedern Sarah Nägele und Orlando Wanner. Die IG setzt sich für die Einführung einer bezahlten Elternzeit in Liechtenstein ein
und erarbeitet ein entsprechendes Modell.